Gerhard Frank: „Balance“

Balance – das Ringen des Menschen um Gleichgewicht, um Ausgleich, Sicherheit und Standfestigkeit in unterschiedlichsten Beziehungsgefügen:
im Beruf, in der Politik, in der Wirtschaft, in persönlichen Beziehungen und, nicht zuletzt, in sich selbst. Balance – Ausgewogenheit, ein Grundbedürfnis des Menschen in einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen gerät.

Wo findet sich ein positives Gegengewicht zu den Naturkatastrophen, die in immer kürzeren Abständen über uns hereinbrechen? Wer sorgt für einen Gegenpol zu Gewalt und Terrorismus? Gelingt es der Politik, sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft zu schaffen? Und ich? Bin ich im Einklang mit mir selbst, in Harmonie mit meinen Mitmenschen? Verfüge ich über die innere Balance, die mich in die Lage versetzt, mein Leben zu bewältigen? Gedanken, die Gerhard Frank durch den Kopf gegangen sein mögen, als er in den ersten Tagen des Neuen Jahres sein Neujahrsbild 2005 , den ersten Balanceakt, anfertigte:

Fragen, die den Künstler in den vergangenen Monaten bis heute weiterbeschäftigten und ihn veranlassten, dieses Thema in unterschiedlichsten Zusammenhängen zu bearbeiten.

Die beeindruckenden Ergebnisse sehen wir heute vor uns. Sie legen Zeugnis ab von seiner kreativen Schaffenskraft und seiner künstlerischen Weiterentwicklung. Sie beleuchten eine neue Facettte des menschlichen Lebens zum Thema „Berührungen“.

Frank lotet die Balance aus zwischen:
Angst und Hoffnung
Resignation und Zuversicht
Freude und Trauer
Liebe und Hass
Demut und Stolz
Macht und Ohnmacht
Freiheit und Unterdrückung
Licht und Schatten
Gesundheit und Krankheit – Leben und Tod


Wohin führt unser Weg auf dieser Treppe, die ins Unbekannte verläuft?

Gelingt es uns, vom Dunkeln ins Helle miteinander Stufe um Stufe zu erklimmen, die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen, aber auch die Interessen meiner Partner nicht außer Acht zu lassen, miteinander die Balance zu halten, uns gegenseitig zu unterstützen, vorwärts zu kommen und nicht abzustürzen?

Auf schwanker Leiter der Gefühle – Frank zitiert Schiller: Hält der Vorhand unter der Bürde, die diese Menschen tragen oder reißt er mitten entzwei? Ein Balanceakt auf dem Vorhang des Lebens.

Der schwarze Vorhang - er symbolisiert bei Frank (im Sinne der Neujahrsbilder) das alte, das vergangene Jahr. Er wird durch das Erhoffte, Erwartete oder Ersehnte nach unten gedrückt. So tritt das Neue, Unbekannte - in der Bildsprache des Künstlers – das Helle, in den Vordergrund, schafft verheißungsvolle Perspektiven, weckt Hoffnung.

Die Vorhänge, ein wichtiges Element in den aktuellen Bildern, definieren niocht nur oben und unten, sondern schaffen auch einen geheimnisvollen Hell-Dunkel-Kontrast. Frank bringt darin seine Liebe zu den großen chiaro-scuro-Künstlern wie Caravaggio und Rembrandt zum Ausdruck.

Seine bisherige Farbpalette – Schwarz–Weiß. Braun und deren Abstufungen ergänzt der Künstler jetzt immer wieder durch ein Rot und vereinzelt durch Blau. Das schafft Lebendigkeit und Frische.

Schriftzüge – Gedanken, die ihm beim Gestaltungsprozess durch den Kopf gegangen sind – strukturieren und differenzieren manche der dunklen Flächen.

Gerhard Frank, ohnehin ein Meister der räumlichen Darstellung, der Tiefenwirkung, wie jedes seiner Landschaftsbilder beweist, nimmt in seinen neuen Werken bewusst geometrische Formen auf, die die jeweilige Bildwirkung – und –aussage unterstützen:

Pyramiden, immer wieder Kugeln und als architektonisches Attribut, die Treppen. Sie ziehen den Betrachter in den Bann und teilen gleichzeitig das Bild in helle und dunkle Flächen. Die geometrischen Elemente, rund und eckig im direkten Aufeinandertreffen erzeugen Spannung, verdichten und setzen harmonische Schwerpunkte im Bildaufbau.

Die Treppen haben den Künstler so fasziniert, dass er sie auch dreidimensional interpretierte. So entstanden interessante Skulpturen, die Bozzetti.

Die menschlichen Körper, die die Bildflächen und Räume, die Vorhänge und Treppen bevölkern, sind keine Artisten mehr, die zur Unterhaltung der Zuschauer auf dem Drahtseil tanzen, sondern symbolisieren Menschen wie du und ich, Menschen, die versuchen ihr Leben zu bewältigen, ihren Weg zu finden, im Gleichgewicht zu bleiben.

Die Figuren bringen Bewegung, Dynamik, Spannung, Unruhe und Dramatik in das Bild. Sie sind manchmal ineinander verschlungen, gehen Verbindungen ein, stoßen ab, ziehen sich an und drücken so Beziehungen aus. Die Menschen unterstützen sich im gemeinsamen Bemühen, die Kugel nicht hinunterrollen zu lassen, sie mit Kräften zu halten oder sie sogar die Treppe hinaufzuwuchten. Sie ringen förmlich darum, im turbulenten Rhönrad des Lebens, im Auf und ab, im Oben und Unten nicht die Übersicht zu verlieren und dem Lauf der Dinge die richtige Richtung zu geben.

Einige Werke überraschen mit einer geradezu meditativen, mystischen Ruhe und Ausgeglichenheit. Dieser Ausdruck erreicht seinen Höhepunkt zweifellos in dem vom Menschen leeren Bild „Erwartung“. Vollkommene Harmonie, ein stufenloser Übergang von Schwarz über Rot zu Weiß. – Im Schwerpunkt des Bildes die dunkle Kugel, die den Vorhang – das Vergangene – nach unten drückt: Was verheißt uns das heraufsteigende Morgenrot? Die Zukunft ist ungewiss.

Gerhard Frank hat wieder ein interessantes Thema gefunden.

Balance – ein Thema das jeden von uns betrifft, beschäftigt, gefangen nimmt und uns zum Nachdenken und Diskutieren anregt.

Was können, was müssen wir tun, um die Balance, das Gleichgewicht zu halten, in uns, in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft, in der Natur, in der Politik, in der Wirtschaft, in den Beziehungen zu anderen Völkern?

Gerhard Franks Bilder fordern zu dieser Auseinandersetzung heraus!

Manfred Koch
Crailsheim